Das pädagogische Gespräch in der Oberstufe, de Vries 2006

In Zusammenhang mit unserer Konzeption der Lernbegleitung führen wir in der Oberstufe der Rudolf Steiner Schule Bochum mit allen Schülern der 9. bis zur 12. Klasse am Anfang des Schuljahres systematisch ein Lernbegleitungsgespräch.

Es richtet sich nicht nur auf einzelne Leistungen bzw. Leistungsschwächen, sondern bezieht die Situation, die Bedingungen, die Voraussetzungen und die Lernbiographie der Schüler mit ein. Insbesondere wird nach Lernbehinderungen und förderlichen Momenten gesucht. Die Fähigkeiten und die Stärken finden mehr Aufmerksamkeit als die Schwächen, die allerdings ebenfalls betrachtet werden müssen. Gesprächsteilnehmer sind der Schüler, der Klassenbetreuer und ein Kollege aus dem Klassenkollegium. Grundlagen für das Lernbegleitungsgespräch sind die Schülerselbstevaluation, die Zeugnisse und die Rückmeldebogen aus dem Unterricht. Das Gespräch wird schriftlich dokumentiert und in einer Sammelmappe, dem „Lernbegleiter“, abgeheftet.

Erfahrungen

Die Gespräche waren auf eine halbe Stunde ausgerichtet. Die Zeit wurde in der Regel eingehalten und war angemessen und sollte auch nicht überschritten werden. Für einen lockeren Gesprächsanfang ist die Ferienzeit meisten gut geeignet. Im weiteren Gesprächsverlauf wird dann über die familiäre Situation gesprochen, über den Fragenkatalog zum Zeugnis und in den oberen Klassen vor allem über das Berufsziel und den Schulabschluss. Auch die Schülerselbstevaluation ist ein wichtiger Gesprächsinhalt. Lerndefizite und Lernvereinbarungen werden erst am Ende des Gesprächs thematisiert. Der Inhalt des Gesprächs und die Lernvereinbarungen werden in einem Protokoll festgehalten.

Die Schüler nahmen die Gespräche sehr ernst, haben in der Regel die Fragen zum Zeugnis und die Schülerselbstevaluation gewissenhaft und ausführlich beantwortet und sind auf die Gespräche gut vorbereitet gewesen. Alle Schüler waren gesprächsbereit und es gab in der Vergangenheit überhaupt keine peinliche Gesprächssituationen oder Ungleichgewichte. Die Gespräche waren partnerschaftlich, die Schüler brachten dem Gesprächspartner ein großes Vertrauen entgegen und waren auch bereit über persönliche und private Lebenssituationen zu sprechen. Bei einigen Schülern nahm die private Lebenssituation im Gespräch einen breiten Raum ein, der auch notwendig war, damit die Gesprächsteilnehmer die zum Teil schwierige schulische Situation einordnen und verstehen konnten. Die Gespräche zeigten auch, dass wir über die private und familiäre Situation unserer Schüler erstaunlich wenig wissen.

Das Vertrauensverhältnis, das in den Gesprächen aufgebaut wird, ist außerordentlich hilfreich im täglichen Umgang mit den Schülern. Es ist vor allem in Krisensituationen die Voraussetzung, überhaupt pädagogisch helfen zu können, da die Schüler erfahrungsgemäß erst dann mit dem Klassenbetreuer sprechen, wenn vorher eine Vertrauensbasis aufgebaut worden ist.

Die Gespräche sind eine große Hilfe, alle Schüler wahrzunehmen und nicht nur die Problemschüler. Oft sind es nur die Problemschüler, die im Mittelpunkt unserer pä- dagogischen Aufmerksamkeit stehen. Dabei bedürfen alle Schüler unserer Zuwendung. Mehrfach gibt es in der Klasse unauffällige Schüler, die von uns gar nicht richtig wahrgenommen werden, aber dringend unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Auch gibt es leistungsstarke Schüler, die erst im Gespräch die Möglichkeit finden, über ihre vorhandenen Probleme und Ängste zu sprechen.

Fast alle Schüler der 12. Klasse hatten schon deutliche Berufsvorstellungen und Abschlusswünsche. Ebenfalls hatten die meisten Schüler bereits einen Fachwunsch für das Studium. Offensichtlich waren die Lernbegleitungsgespräche im letzten Schuljahr für die Schüler eine wesentliche Hilfe, denn sonst hatten wir nicht die Erfahrung gemacht, dass alle Schüler sich zum Schuljahresbeginn schon deutlich über ihre Zeit nach der 12. Klasse äußern konnten.

Die Fragen zum Zeugnis führen die Schüler dazu, das Zeugnis nach den Ferien nochmals mit einem gewissen Abstand genau und nicht nur selektiv zu lesen, was meistens bei der Zeugnisausgabe passiert. Dadurch wird das Medium Zeugnis, das uns am Ende des Schuljahres sehr viel Zeit und Kraft abverlangt, nochmals pädagogisch wirksam und vor allem von den Schülern nicht nur flüchtig oder ungenau zur Kenntnis genommen.

Die Schülerselbstevaluation ist außerordentlich hilfreich und eine gute Grundlage und Ausgangsbasis für das Gespräch. Die Selbsteinschätzung des Schülers basierte zunächst auf einem standardisierten Fragebogen, der nachfolgend sich als ungeeignet erwiesen hat und durch einen offenen Fragebogen ersetzt wurde. Der Schüler füllt vor dem Gespräch den Fragenbogen aus und gibt ihn eventuell für eine Fremdevaluation dem Klassenbetreuer. Die Fragen zur Selbsteinschätzung werden gemeinsam mit den Schülern entwickelt und beziehen sich auf die Lernsituation und das Lernverhalten im zurückliegenden Zeitraum bzw. während einer zurückliegenden Epoche, können aber auch auf Projekte u.ä. angewendet werden. Ein empfehlenswerter Gesprächseinstieg ist die Fremdevaluation durch den Klassenbetreuer, da vor allem gravierende Abweichungen Möglichkeiten zur Nachfrage geben. So hatte z.B. ein Schüler angegeben, dass die Fähigkeit des Zuhörens bei ihm zutrifft. Es handelte sich um einen Schüler mit ADHS, der im Unterricht sehr schnell abgelenkt war und sich nur schwer auf den Unterricht konzentrieren konnte. Auf Nachfrage berichtete er, dass er zwar in der Schule seine Schwierigkeiten hätte, aber privat sehr gut zuhö- ren könnte und dass Jugendliche gerne zu ihm als Gruppenführer bei den Pfadfindern kämen und das Gespräch suchten.

Die Fragen der Schülerselbstevaluation geben einen deutlichen Einblick in das Lernund Sozialverhalten sowie in die Persönlichkeit des Schülers und können im Gespräch durch Fragen auch gut thematisiert und vertieft werden. Ein Schüler z.B. beantwortete die Fragen nach der Lernkompetenz fast durchgängig negativ. Im Gespräch stellte sich heraus, dass der Schüler zu Hause den Computer auf dem Schreibtisch stehen hat und während er Hausaufgaben macht, die ganze Zeit online ist und über den Monitor laufend seine Chatkontakte pflegt. Bei einem anderen Schüler, der bei seiner Teilnahme am Unterricht und seiner Schulakzeptanz angab, große Schwierigkeiten zu haben, zeigte sich, dass er schon seit der ersten Klasse die Schule hasst und auch bei anderen Lernkompetenzen völlig blockiert ist und nur mit massiver Hilfe der Eltern und seiner Freundin die Oberstufe schafft. Allerdings will dieser Schüler trotz dieser Vorraussetzungen Abitur machen und Medizin studieren. Ein Schüler, der in der Klasse gut integriert ist und intensive Freund- schaften pflegt, hatte in letzter Zeit öfters gefehlt und antwortete auf die Frage nach der Klassengemeinschaft, dass diese für ihn überhaupt nicht mehr existiere. Im Gespräch kam heraus, dass sich der Schüler in einer akuten Depression befindet und dringend Hilfe braucht. Eine Schülerin, die überdurchschnittlich begabt ist und insgesamt sehr gute Leistungen vorweisen kann, antwortete auf die Frage nach Bewegung und Koordinierung, dass diese bei ihr nicht vorhanden seien. Es wurde deutlich, dass diese Schülerin nicht rechts und links unterscheiden kann und deshalb ihre Leistung in Sport mangelhaft bewertet wurde. Eine therapeutische Betreuung und eine Hilfestellung im Sportunterricht wurden vereinbart.

Ohne Gespräch hätten wir die Situation vieler Schüler nicht oder vielleicht erst sehr viel später wahrgenommen, wenn sich die Situation wesentlich verschärft hätte und vielleicht zum Problem geworden wäre.

Die Gesprächsprotokolle wurden von den Schülern mit großem Interesse entgegengenommen und kontrolliert, ob das Gespräch auch sorgfältig wiedergegeben wurde.

Von allen Beteiligten wurden die Lernbegleitungsgespräche als außerordentlich sinnvoll und hilfreich angesehen. Vor allem der Klassenbetreuer, der bei allen Gesprächen dabei war, erhält eine wichtige pädagogische Hilfe. Auch die Eltern berichteten, dass sie über ihre Kinder eine ausgesprochen positive Resonanz bekommen hatten und sehr dankbar waren, dass die Gespräche stattfanden.

Ergebnisse

Wir haben das pädagogische Gespräch instrumentalisiert und erfahren, dass das Lernbegleitungsgespräch zu neuen Perspektiven in der Oberstufenpädagogik führt. Die Pubertät ist der Durchbruch zur biographischen Selbsterfahrung. Der Jugendliche betritt diesen neuen Lebensabschnitt voller Hoffnung, Tatendrang und Lebensfreude. Dennoch braucht er Hilfe, damit sich die Individualität in voller Freiheit entfalten kann.

Das Selbstwertgefühl eines Jugendlichen hängt noch direkt von den Umweltreaktionen (Feedback) ab, welche immer nur durch den Prozess der Kommunikation mitgeteilt werden können. Ein gutes Selbstwertgefühl erhält der Jugendliche (und später der Erwachsene) durch die Wertschätzung der Umwelt. Er braucht zur Selbstfindung das Gefühl der Sicherheit, Geborgenheit, Zugehörigkeit und Anerkennung. Einige Schüler stehen sich selbst z.B. sehr kritisch gegenüber und stellen an sich selbst sehr hohe Anforderungen oder stufen ihre Leistung wesentlich schlechter ein, wie sie der Wirklichkeit entspricht. Solche Schüler wachsen förmlich über sich selbst hinaus, wenn sie die erforderliche Anerkennung erhalten und es gelingt, ihr Selbstwertgefühl entsprechend zu stärken.

Die Lernmotivation der Jugendlichen hat oft sehr unterschiedliche Gründe. Neben den kognitiv bedingten gibt es auch soziale Lernmotive, wie Zuneigung und Geborgenheit, die eine bedeutende Rolle spielen. Der Jugendliche sollte eine positive Beziehung zu seiner Schule und zu seinen Lehrern haben. Diese stellt oft die Grundlage für seine Lernbereitschaft dar.

Praktische Hinweise

Der Lernbegleiter sollte in der Lage sein, im Gespräch den Jugendlichen in seiner Entwicklung so zu unterstützen, dass er sich selbst und seine Fähigkeiten entdeckt. Der Jugendliche befindet sich in einer hoch komplexen Entwicklungsphase, die Verständnis für seine Gedanken, Gefühle, Ängste, Hoffnungen, Interessen und Ziele erfordert. 

Kommunikationspsychologen behaupten, dass nur ca. 20% der Kommunikation auf der Sachebene und ca. 80% auf der Beziehungsebene stattfinden. Jeder Gesprächspartner interpretiert, was er hört. Nicht nur was, sondern vor allem wie es gesagt wird, stellt die Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern her und ermöglicht oder erschwert eine Begegnung. Das Lernbegleitungsgespräch soll optimal verlaufen, Gesprächspannen müssen vermieden werden. Das eigene Gesprächsverhalten muss hinterfragt und geschult werden. So zum Beispiel ist auch die Körpersprache durch Körperhaltung, Gestik und Mimik eine Form der Kommunikation. Das Schweigen kann höchst beredt aber auch eisig sein. Sogar die bloße Anwesenheit von mehreren Personen in einem Raum beeinflusst das Gespräch.

Die Ausgangssituation

Die Kommunikation vollzieht sich auf mehreren Ebenen, die im Gesprächsverlauf miteinander verwoben sind. Es geht um Information (Sachinhalt), um Selbstoffenbarung (Ausdruck der eigenen Person), um die Zielsetzung eines Gespräches (Lenkung, Appell) und um die Beziehung der Gesprächspartner untereinander (was ich von meinem Gesprächspartner halte). 

Das Lernbegleitungsgespräch setzt eine partnerschaftliche Grundhaltung voraus. Es dürfen keine Anweisungen erteilt werden, sondern das Gespräch muss dialogisch geführt werden, d.h. der Jugendliche muss überzeugt und nicht überredet werden, er muss zu jeder Zeit in seinem Anliegen ernst genommen und anerkannt werden. Die Transaktionsanalyse (TA) beachtet drei Persönlichkeitsebenen im Gespräch: das Eltern-Ich, das Kind-Ich und das Erwachsenen-Ich. Das Eltern-Ich hat zwei Aspekte: entweder ist es kritisch-verurteilend-moralisierend oder fürsorglich. Das Kind-Ich kann in dreifacher Form auftreten: rebellisch, angepasst und natürlich. Das Erwachsenen-Ich verhält sich rational, analysierend, sachlich usw.

Das Gespräch wird bestimmt durch die Ebene, auf welcher die Gesprächsteilnehmer einander ansprechen bzw. reagieren. Spricht der Lehrer auf der Elternebene zum Schüler, muss er sich nicht wundern, wenn der Schüler aus der Kind-Ich-Variante heraus antwortet. Nur das Erwachsenen-Ich spricht den Partner auf der gleichen Ebene an. Das Lernbegleitungsgespräch gestaltet sich dann schwierig, wenn die Gesprächsteilnehmer sich gegenseitig in ihrer Rolle bestätigen und verstärken. Der Lernbegleiter muss erkennen auf welcher Ebene gesprochen wird und die Gesprächssituation steuern. Er muss bewusst die Ebene des Erwachsenen-Ich einhalten und nicht aus einer unbewussten Reaktion eine entsprechende Gegenrolle übernehmen.

In der Art, wie ein Lernbegleiter die Ebenen seiner Rede kontrollieren kann, hat er in der Hand, ob er den Jugendlichen motiviert oder demotiviert, ob er ihm Mut macht und in ihm Selbstvertrauen weckt, oder ob er ihn in die Resignation treibt. Im Lernbegleitungsgespräch stehen nicht nur die Sachverhalte im Vordergrund, sondern vor allem das Verhältnis, in welchem die Gesprächsteilnehmer zueinander stehen.

Das non- direktive Lernbegleitungsgespräch

Eine partnerschaftliche Grundhaltung im Lernbegleitungsgespräch ist nicht ganz leicht, weil der Lernbegleiter weiß und kann, was der Jugendliche lernen will, vor allem, wenn es um Sachgespräche und vielleicht auch noch um Lerndefizite geht. Insofern sind Lernbegleitungsgespräche strukturell asymmetrisch, ganz gleich, welcher Kommunikationsstil gepflegt wird.

Es hat überhaupt keinen Sinn, dem Jugendlichen einfach nur Ratschläge erteilen zu wollen. Der Jugendliche reagiert wie die meisten Menschen auf Ratschläge mit Skepsis und Abwehr. Er fühlt sich nicht ernst genommen und bevormundet. Seine eigenen Fähigkeiten zur Problemlösung werden dabei nicht angesprochen und er wird bei der nächsten Hürde erneut Hilfe benötigen. Insgesamt blockieren Ratschlä- ge eher, als dass sie hilfreich sind. Aber der Lernbegleiter kann dem Jugendlichen helfen, sich selbst zu helfen. Dabei geht es in erster Linie darum, eine Haltung zu entwickeln, die das Verständnis des Lernbegleiters für das Anliegen, die Gedanken und die Befindlichkeiten des Jugendlichen übermittelt. Je mehr er den Jugendlichen zu Wort kommen lässt, desto mehr schafft er eine Atmosphäre, in der sich Vertrauen entwickeln kann.

Die kommunikationsfördernde Grundhaltung

Es gibt in der Gesprächsführung drei Grundhaltungen, die in der Psychotherapie und in der pädagogischen Beratung (z.B. bei Gesprächen zwischen Erziehern bzw. Lehrern und Eltern) einen breiten Anwendungsbereich gefunden haben: einfühlendes Verstehen (Empathie), unbedingte Wertschätzung (Akzeptanz) und Echtheit (Authentizität).

Mit Empathie ist die Fähigkeit sowie die Bereitschaft gemeint, sich in den Jugendlichen einzufühlen, sein Verhalten und Handeln zu verstehen und sich in seine Gefühlswelt hineinzuversetzen. Ziel ist dabei, dem Jugendlichen vorurteilsfrei zuzuhören und seine Sicht wirklich verstehen zu wollen. Dazu ist auch notwendig, die eigenen Meinungen, Wertungen und Emotionen zunächst einmal zurückzustellen.

Unbedingte Wertschätzung oder Akzeptanz ist die Bereitschaft, den Jugendlichen so anzunehmen, wie er ist. Das bedeutet, seine Fehler und Schwächen zu akzeptieren und zu lernen, damit umzugehen. Es ist eine an keine Bedingungen geknüpfte Anteilnahme an der Situation des Jugendlichen. Das bedeutet jedoch nicht, dass damit auch alle Handlungen akzeptiert werden.

Echtheit oder Authentizität heißt, dass das Verhalten, die Äußerungen, das Handeln und die Körpersprache mit dem Denken übereinstimmen. Der Gesprächspartner ist dann nicht echt, wenn er etwas mit freundlichen Worten und zugleich saurer Miene sagt, wenn sich also seine Gefühle und seine Äußerungen widersprechen. Daher sollte der Lernbegleiter, wenn er eine Abneigung einem bestimmten Jugendlichen gegenüber hegt und sie nicht überwinden kann, dem Jugendlichen empfehlen, sich mit seinen Problemen an jemand anderen zu wenden.

Gesprächstechniken

Zu den obengenannten „professionellen“ Haltungen kommen gesprächstechnische Fertigkeiten hinzu. Gemeint sind die Techniken, die „Straßensperren der Kommunikation“ vermeiden, Türen öffnen, aktives Zuhören und offene Fragen ermöglichen. Dabei gilt das aktive Zuhören als die wichtigste und wirkungsvollste Gesprächskompetenz. 

Aktives Zuhören: Zuhören erfordert, dass der Lernbegleiter sich konzentriert, selbst passiv bleibt und doch zugleich dem Jugendlichen seine gesamte Aufmerksamkeit und Wachheit zuwendet. Wer aktiv zuhört, der versucht, sich in den Jugendlichen einzufühlen um ihn auch emotional zu verstehen. Beim aktiven Zuhören achtet der Lernbegleiter nicht nur darauf, was der Jugendliche sagt, sondern auch darauf, wie der Jugendliche spricht und welche Gefühle, Wünsche und Hoffnungen in der Äußerung mitschwingen.

Aktives Zuhören schafft Verbundenheit und Vertrauen. Es ist außerordentlich gesprächs- und beziehungsfördernd, wenn der Lernbegleiter alles das, was er auf diese Weise „durchhört", nicht einfach für sich behält, sondern dem Jugendlichen zurückmeldet, d.h. ihm signalisiert, dass er ihn „verstanden" hat, und zwar nicht nur in Bezug auf den ausgedrückten Sachinhalt seiner Rede, sondern im Hinblick auf seinen emotionalen Hintergrund.

Dafür gibt es zwei Techniken: das Paraphrasieren und das Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte. Beim Paraphrasieren zeigt der Lernbegleiter, ob er die Aussagen des Jugendlichen wirklich verstanden hat. Dabei werden für den Verlauf des Gesprächs bedeutsame Inhalte mit eigenen Worten wiederholt oder umschrieben. Das Paraphrasieren der Inhalte dient dem besseren Verstehen und regt zur Reflexion an und erfolgt in der Regel in Aussageform, z.B.: „Sie glauben, dass Sie unbegabt sind und nicht wissen wie Sie sich verbessern können." „Ihnen wäre es wichtig, dass Sie im Unterricht Anregungen erhielten, die Sie stärker herausfordern." Das Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte geht über das Paraphrasieren noch hinaus. Hierbei spricht der Lernbegleiter die Gefühle direkt an, die in dem Gespräch für den Jugendlichen von Bedeutung sind. Das Verbalisieren kann bei emotionaler Betroffenheit entlastend sein.

„Straßensperren“ der Kommunikation oder „öffnen von Türen“: Interessierte Fragen zu Beginn oder auch im weiteren Verlauf eines Gesprächs können einen Gesprächsteilnehmer ermuntern, mehr zu sagen. Der Lernbegleiter fordert den Jugendlichen auf, ihn an seinen Gedanken, Empfindungen oder Urteilen teilhaben zu lassen und ermutigt ihn zum Sprechen.

Genau das Gegenteil bewirken die sogenannten „Straßensperren der Kommunikation". Sie führen dazu, dass sich der Jugendliche unverstanden und bevormundet fühlt und nicht mehr bereit ist, sich zu öffnen. Die häufigsten „Straßensperren“ sind: Zureden, Moralisieren, Predigen, Belehren, Vorhaltungen machen, Schimpfen, lächerlich machen usw.: „Du musst dich mehr anstrengen!"; „Du musst unbedingt mehr für die Schule lernen!"; „Das habe ich früher auch durchgemacht!"; „Morgen denkst du sicher anders darüber!

Diese sogenannten „Killerphrasen“ sind destruktiv, denn sie signalisieren dem Jugendlichen, dass seine Empfindungen und Bedürfnisse nicht wichtig sind. Sie rufen als Reaktion entweder Widerstand, Empörung und Feindseligkeit oder Minderwertigkeits- und Schuldgefühle hervor.

Fragen: Indem der Lernbegleiter Fragen stellt, zeigt er dem Jugendlichen ebenfalls, dass er sich für seine Belange interessiert. Allerdings bergen Fragen immer auch die Gefahr, ein Gespräch zu stark zu steuern und zu lenken. Denn derjenige, der die Fragen stellt, bestimmt die Richtung des Gesprächs, da in den meisten Fragen bereits eine bestimmte Antwort steckt. Der Fragende ergreift die Initiative und nimmt dem Gesprächspartner den Faden aus der Hand. Darüber hinaus lenken Fragen die Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Gesprächs sowie auf sachliche Argumente und weg vom Befinden und Fühlen. Das gilt sowohl für den Fragenden als auch für den Befragten. Daher kann allzu direktes Fragen beim Befragten großen Widerstand hervorrufen. Interessierte Fragen zu stellen ist daher eine hohe Kunst. Nach dem oben genannten Ansatz des aktiven Zuhörens sollte sparsam mit Fragen umgegangen werden. Das soll nicht heißen, dass der Lernbegleiter in einem guten Gespräch nach Möglichkeit keine Fragen stellen soll, aber er sollte sich bewusst machen, was dabei geschieht, vor allem sollte er darauf achten, welche Art von Fragen er stellt. So sollte man Suggestivfragen und geschlossene Fragen weitestgehend vermeiden und stattdessen offenen Fragen den Vorzug geben. Eine Suggestivfrage unterstellt, dass der Gesprächspartner gleicher Ansicht ist, z.B.: „Wir wollen doch alle, dass Sie sich bei uns wohl fühlen?" Eine geschlossene Frage lässt nur ein „Ja" oder „Nein" als Antwort zu. Sie fragt gezielt nach Informationen, z.B.: „Wollen Sie diese Aufgabe übernehmen?" Alternativfragen sind Entweder-Oder-Fragen, welche die Entscheidungsfindung im Konfliktfall erleichtern sollen. Reflektierende Fragen (abgewandelte Wiederholungsfragen) sind ein gutes Mittel, um sich zu vergewissern, ob die Position des anderen richtig verstanden wurde: in Frageform wird das wiederholt, was der andere gesagt hat. Bei einer offenen Frage bleibt die Antwortmöglichkeit ganz frei. Durch sogenannte „W-Fragen“ (wie, wer, was, wann, wo, wohin, womit, warum) wird der Jugendliche nicht nur zum Antworten angeregt, sondern auch zum Nachdenken über Sinnzusammenhänge, eigene Meinungen oder Begründungen. Dieser Fragetypus eignet sich besonders gut, um umfassende Informationen, Gedanken und Wünsche des Gesprächspartners zu erfahren, z.B.: „Wollen Sie dazu noch mehr erzählen?"; „Wie empfinden Sie, wenn ...?"; „Warum ist es Ihnen so wichtig, dass ...?"; „Was wollen Sie erreichen?" Fragetechniken können im Gespräch ein wichtiges Steuerungsinstrument sein: Interesse und Neugier wecken und stärken, Wissen und Erfahrungen erweitern, eigene Gedanken entwickeln, selbst Antworten und Lösungen finden und somit das Selbstbewusstsein stärken. Schüler und Lehrer übernehmen bewusst in enger Kooperation gemeinsam Verantwortung für das Lernen und auch für die Leistungsbewertung. Die Arbeit an der Qualität wird zu einer gemeinsamen Aufgabe!

Frank de Vries November 2006